10 Tage Wandern - ohne Zivilisation
Nach einigen weiteren netten Tagen in Lhasa entschieden wir uns Anfang März, mit einigen Freunden noch ein bischen wandern und vielleicht auch Bergsteigen zu gehen. Da wir ja keine Ausrüstung dafür haben, liehen wir uns in einigen Ausrüstungsläden Rucksäcke, besorgten uns Wanderstöcke und andere Dinge. Am sechsten März ging es dann los, von einem Fahrer liessen wir uns ca. 150km südwestlich von Lhasa absetzen. Wir waren direkt auf 5000 Metern, und leider war eine Frau in unserer Gruppe noch nicht gut genug akklimatisiert, also konnte sie nicht weiter mitkommen, und ein Freund blieb bei ihr, so dass wir die nächsten 10 Tage nur noch zu viert unterwegs waren.
Bericht 26.02. - 19.03.
In der ersten Nacht hatten wir auch wieder prompt mit tiefen Minusgraden zu kämpfen, was wir mittlerweile schon fast gar nicht mehr gewohnt waren. Ein bischen eingeschneit wurden wir auch, und ebenso hatten wir mit unseren schweren Rucksäcken zu kämpfen. Wir hatten ja genug Essen für 10 Tage wandern mitgenommen, ebenso Zelt, Schlafsäcke und Kochausrüstung. Also kamen wir in den ersten Tagen nur sehr langsam voran, da auch wir anderen zwar an die Höhe von Lhasa auf 3600 Metern akklimatisiert waren, nicht jedoch an die Höhe von 5000 Metern, auf der wir gerade wanderten.
Unsere erste grössere Herausforderung war am dritten Tag, als es galt, einen Pass von einer Höhe von 5450 Metern zu meistern. Etliche Stunden stapften wir duchr den Schnee, es war ganz schön steil, und durch die dünne Luft auf über 5000 Metern waren wir sehr kurzatmig. Die letzten wenigen Kilometer wurden scheinbar endlos lang, die teils über 30 Kilo schweren Rucksäcke schienen mit jedem Schritt schwerer zu werden. Irgendwann hatten wir es dann allerdings endlich mal geschafft, die aufgetürmten Steinen am Pass zu erreichen. Denn zum Beispiel Pässe, Seen, und heisse Quellen sind ja in Tibet heilige Orte, die eben mit Gebetsflaggen oder Steintürmchen versehen werden.
Begegnung mit tibetischem Nomaden
Als wir den Pass erreichten, war es schon spät geworden. Wir konnten also auf der anderen Seite nicht mehr sehr weit absteigen und mussten bald unsere Zelte aufstellen. Mit unserem Zeltlager auf 5350 Metern zelteten und schliefen wir so hoch wie noch nie in unserem Leben. Schlafen konnten wir bis spät in die Nacht ebenso nicht, ein gängiges Phänomen, wenn man noch nicht vollkommen an die Höhe akklimatisiert ist. Am nächsten Tag waren wir also sehr froh, wieder ein wenig auf der anderen Seite absteigen zu können. Ein bischen besser an die Höhe akklimatisiert und bergab ging es heute wesentlich besser. Unser heutiges Zeltlager richteten wir auf etwa 4900 Metern ein, wo wir auch prompt zumindest ein bischen besser schlafen konnten.
Am anderen Morgen wurden wir von einer Stimme geweckt. "Chu, chu" (gespr. Tschu, tschu). Wer ist denn das, der uns am frühen Morgen stört? Wir haben halb verschlafen fast keine Lust unser Zelt zu verlassen. Als wir dann doch rauskommen, steht ein Tibeter vor uns an unseren zelten. Mit einer Thermosflasche heissem Wassers, das er uns nun anbietet! Wie nett! Wie oft muss man erfahren, dass doch gerade die Menschen noch gerne geben, die oft selbst nur sehr wenig besitzen! Dieser Tibeter läuft hier in der Eiseskälte nur mit ganz dünnen Turnschuhen durch die Gegend, auch Handschuhe hat er keine. Diese Menschen sind definitiv andere Umstände und nicht so einen Luxus gewöhnt wie wir. Wir müssen nun unsere Tassen rausholen, der Tibeter schenkt uns das heisse Wasser ein, dass er wahrscheinlich auf einem Feuer von Yakdung zum kochen gebracht hat. Er schenkt uns immer wieder nach, und er bleibt so lange, bis wir seine komplette Thermoskanne ausgetrunken haben. Wir sind gerührt von dieser Begegnung, die die einzige auf dieser Wanderung mit einem anderen Menschen bleiben sollte.
Hohe Nächte beim einsamen Wandern
Von hier aus wollen wir in einem anderen Tal noch ein wenig aufsteigen, um uns in diesem schönen Gebiet noch ein wenig umzusehen. Je höher wir steigen, desto anstrengender wird es. Doch die Aussicht wird immer besser: Man kann wieder die östliche Himalaya Hauptkette sehen, bis an die Grenze von Butan und Indien. Auf 5420 Metern stellen wir wieder unsere Zelte auf, am Fusse von einem wunderschönen Gletscher. Von hier aus wollten wir in den nächsten Tagen noch ein bischen ohne den schweren Rucksack die Gegend erkunden.
Wir hatten mit unseren Freunden eine gute Zeit, wanderten ein bischen am Rand des Gletschers bergauf. Mit jedem Meter weiter nach oben wurde die Luft zunehmend dünner, wir konnten nur im Schneckentempo gehen, und mussten darübr hinaus auch noch alle 3 Meter Pause machen. Umso mehr kann man auch verstehen, wie schwierig es sein muss, gar auf einen 7000- oder 8000- Meter hohen Berg zu klettern. Doch die Ausicht war wunderbar, die Schnee- und Gletscherlandschaften hatten wir in unserem Leben noch nicht gesehen. Leider wurde an einem Tag das Wetter auch ein bischen schlechter, so dass wir auf 5995 Metern umdrehten. Oberhalb war nur noch Eis und Schnee, und auch der Himmel begann nun seine Pforten zu öffnen, und es begann zu schneien, so dass wir kehrt machten.
Rückkehr ins Unfassbare
Nach 10 Tagen ohne menschliche Zivilisation, ausser der Begegnung mit einem tibetischen Nomaden, setzten wir also unsere Runde fort, und liefen weiter zu unserem Ziel, einem kleinen Dorf 20 Kilometer weiter, von wo aus wir hofften ein Mitfahrgelegenheit zur nächsten grösseren Stadt und schliesslich nach Lhasa zu bekommen. Nach Abstieg aus dem kleinen Hochtal kamen wir wieder ins breitere Haupttal. Der Tag war fast langweilig. Auf einem breiten Weg liefen wir in Richtung Dorf, der Tag wurde lang und länger, unsere Muskeln immer müder.
Doch wir beiden wollten gerne das Dorf erreichen, wir wollten so bald wie möglich zurück nach Lhasa und ebenso bald dann auch mit dem Tandem weiterfahren. Als wir schon bereit waren zum zelten, sahen wir doch noch ein kleines Dorf, was nicht auf unserer Karte war. Sehr erschöpft kamen wir also an. Direkt am Ortseingang wurden wir herzlichst von einer jungen tibetischen Frau empfangen und in eine Teestube begleitet. Super! Hatten wir unsere Wanderung also geschafft, wir konnten uns ausruhen, in diesem Dorf, wo wahrscheinlich so gut wie niemals westliche Touristen vorbeikommen. Mit den Einheimischen hatten wir viel Spass. Einige kamen mit kleinen Lämmlein herein, die wir auf den Arm nehmen und streicheln konnten. Scheinbar fast das ganze Dorf kam nacheinander vorbei, um mal zu sehen, wer sich denn da zu ihnen ins Dorf verirrt hatte. Wir bekamen Kekse und Kartoffeln zu Essen und Unmengen an süssem und auch an salzigem Buttertee zu trinken. Doch dann kamen einige andere Männer, die Atmosphäre wurde komisch, und 2 Stunden später kamen drei Polizisten per Geländewagen, die uns mitnehmen wollten.
Auf dem Polizeirevier
Knapp eine Stunde fuhren wir nun mit den Polizisten nach Nangartse, der nächsten grösseren Stadt. Wir wurden direkt auf das Polizeirevier gebracht. Dort mussten wir in einem Raum platz nehmen, wo wir direkt vom Chef verhört wurden. Weitere 12 Polizisten schauen dem ganzen Spektakel zu. Zuerst wollen sie unsere Pässe sehen, was problematisch ist, da wir nur Passkopien mit dabei haben. Doch unser Freund Thorsten hat nicht mal Passkopien mit dabei. Doch er denkt sich eine Geschichte der besonders originellen Art aus: "Gestern hatten wir so starken Wind, der hat die Passkopien weggeweht". Es herrscht kurze Stille als der Polizist es den anderen übersetzt und dann müssen sich alle das Lachen stark verkneifen. Thorsten hätte genauso gut sagen können: "Ein Yak hat meine Kopien gefressen"! Des weiteren werden wir belehrt: "Diese Gegend ist geschlossenes Gebiet. Verboten für Touristen! Was macht ihr hier"? Wir erklären, dass wir nur einige Tage wandern waren.
Es ist schon spät in der Nacht, die Polizisten wollen Feierabend machen. Also sollen wir am nächsten Morgen wiederkommen. Wir werden nun zum Hotel gebracht, da wir aber auch noch nicht wirklich gegessen haben, werden wir noch von 3 Polizisten zu einem Restaurant begleitet, wo wir uns sattessen können. Selbige begleiten uns im Anschluss zu unserem Hotel, das Gittertor wird hinter uns verriegelt. Zu blöd nur, dass die Toilette im Aussenbereich liegt. Als nämlich unser Freund Claude nachts den dringenden Drang hat sich eines Bedürfnisses zu entledigen, bleibt die Hotelangestellte Dame hart und will das Tor nicht aufmachen. Auch dann nicht, als Claude mit dem deuten auf das Klopapier ihr klar machen will dass es sich um eine grössere Geschichte handelt. Also muss der arme Claude gezwungenermassen seine Notdurft im kleinen Innenhof in der Ecke verrichten.
Am nächsten Morgen sollten wir uns ja wieder im Polizeirevier einfinden. Doch was uns jetzt blühte, konnten wir nicht im geringsten erahnen! Lies weiter: Die Ereignisse überschlagen sich / Aufstände in Lhasa -->
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