Indonesien - Sumatra - HELLO MISTER!!!
HELLO MISTER!!!
Benny: Beim Stichwort Sumatra denkt man wohl an Regenwald, vielleicht an Tiger, oder an das Parfüm "Sumatra rain". Mandy und ich denken stattdessen nun allerdings eher an den Begrüssungsschrei "HELLO MISTER", der uns hunderte von Malen entgegengebrüllt wurde. Aber warum das bekannte Parfüm von Sumatra denn "Rain" wie Regen heißt, haben wir jetzt auch buchstäblich am eigenen Leibe erfahren.
14.11. - 12.12.2008
Schon unsere Ankunft im dreckigen Hafenort Belawan stand unter keinem allzu guten Stern: Einige Hafenarbeiter stritten sich lautstark, als wir aus der Fähre ausstiegen, die im übrigen 2 Stunden Verspätung hatte. Wir waren mal wieder als letztes am Zollschalter, da wir noch unser Tandem von Bord hieven mussten. Daher waren wir erst um sechs Uhr Abends fertig mit den Zollformalitäten, und mussten so im Dunkeln in die 1,5 Millionen Einwohner-Stadt Medan auf der riesigen Insel Sumatra in Indonesien fahren. Vielfach wurde uns ja zuvor der Verkehr in Indonesien als schrecklich, rücksichtslos, dreckig und laut beschrieben. Doch wie so oft wenn wir negative Erwartungen hatten, war die Realität dann nicht ganz so schlimm wie erwartet. Oder vielleicht sind wir durch Indien einfach immer noch ein wenig abgehärtet? Mit dem Verkehr hatten wir in Sumatra jedenfalls die wenigsten Probleme.
In Medan landeten wir nach langer Suche schliesslich im dreckigen, aber billigen Rona Guesthouse mit deutschem Besitzer. Medan wurde vielfach als absolut schreckliche Grossstadt beschrieben, uns gefiel die Stadt aber ganz gut. Nach einigen Tagen in Medan fuhren wir weiter in Richtung des idyllisch gelegenen Orts Bukit Lawang, am Rande des Gunung Leuser Nationalparks, wo es ein Rehabilitierungszentrum für ehemals in Gefangenschaft lebende Orang-Utans gibt. Die grossen Primaten sollen dort zwar ausgewildert werden, aber trotzdem gibt es auch Fütterungen, da einige der Tiere sich noch nicht vollkommen in der Wildnis zurecht finden. Und bei der Fütterung dabei zu sein, wo die bis zu 1,60 Meter grossen, sehr menschenähnlichen Tiere aus dem Urwald kommen, war ein einzigartiges Erlebnis.
Wir können uns lange nicht entscheiden, ob wir nun noch einen Schlenker nach Norden durch die Provinz Aceh machen sollen, oder ob wir direkt in Richtung Süden zum Tobasee fahren. Nach langem Hin und Her entschieden wir uns dann für die Route durch den Norden. Zwar würden wir so erst mal 400km nach Norden entlang von einer relativ langweiligen Route an der Hauptstrasse fahren, dann würde aber eine Strasse nach Süden in die Berge abzweigen, wo wir direkt durch den Regenwald fahren könnten.
Sharia ist Gesetz in Aceh
Benny: Einen Abend kommenmen wir in einem kleinen Ort an, wo wir nach einer langen Etappen von schon 110 km kein Hotel finden. Weitere 50 Kilometer durch die Dunkelheit, wo mit Sicherheit das nächste Hotel gewesen wäre, wollen wir nicht mehr fahren. Zumindestens haben wir aber jetzt das Selbstbewusstsein, dass wir zu uns selbst sagen, wir haben jetzt über 2 Jahre lang jeden Abend einen Platz zum Schlafen gefunden, da sollte das doch heute auch klappen. Vielleicht können wir ja bei einer Moschee schlafen oder zelten. Doch als wir kurz an der Strassenseite anhalten, und hoffen, dass die vier uns begleitenden Motorräder mal weiterfahren und uns in Ruhe lassen, spricht uns die etwa 25-jährige Nanda an: "Hey, was ist denn los"? Wir: "Wir suchen nach einem Platz zum Schlafen". Nanda: "Oh, kein Problem, ihr könnt in meiner Wohnung schlafen". Und so freuten wir uns sehr, bei Nanda, ihrem Mann und ihrer Mutter für diese Nacht unterzukommen. Im Nachhinein gehörte dies zu den sehr angenehmen Dingen auf Sumatra: Noch drei weitere Male konnten wir unkompliziert bei Einheimischen übernachten. Nanda hatte zuvor auf Java studiert und sie spricht fliessend Englisch, was hier die absolute Ausnahme ist. Nun ist sie hier in der nördlichsten Provinz Sumatras, in Aceh, verheiratet, und bekommt demnächst wohl ein Kind.
Diese nördliche Provinz Aceh gilt übrigens als besonders streng-islamistisch. Als verheiratetes Paar darf man hier nicht in einem Hotelzimmer zusammen übernachten. Und in der Tat, im unaussprechlichen Ort Pangkalanbrandan werden wir scheinbar genau aus dem Grund abgewiesen, dass wir keine Heiratsurkunde mit uns führen. Denn in Aceh gilt das islamische Scharia Gesetz. Der Islam fasste in dieser Region schon sehr früh Fuss, und Aceh war ebenso über Jahrhunderte ein eigenes Sultanreich. Bei der Kolonialisierung durch die Niederländer ab ca. 1870 leistet Aceh heftigen Widerstand. Und da Aceh vor der niederländischen Kolonialzeit mehrere Jahrhunderte lang eigenständig war, wollte Aceh ebenfalls nicht zu Indonesien gehören. Daher gab es Kämpfe in dieser Region, die bis 2004 dauerten. Wir hören auch eine Schauergeschichte, die wir vielleicht lieber nicht gehört hätten. Denn im Rahmen der Unruhen kam 2003 ein deutscher Radfahrer ums Leben, der von der indonesischen Armee "versehentlich" erschossen wurde. Erst 2007, vier Jahre später, hätten er und seine Frau von ihrer Weltreise zurückkommen wollen.
Doch seit 2005, eine Weile nach dem Tsunami, einigten sich Regierung und die "Bewegung Freies Aceh" darauf, dass Aceh nun z.B. mit 70% anstatt wie zuvor nur mit 5% am Erlös aus dem Verkauf der grossen Erdgasvorkommen beteiligt wird. Ausserdem wurde Aceh ein teilweiser Autonomiestatus zugestanden, und die - je nach Definition - Freiheitskämpfer bzw. Aufständischen werden entwaffnet. Daher gilt die Region seit einigen Jahren als sicher.
In die Berge von Sumatra
Benny: Irgendwann endet dann unsere Fahrt durch das Flachland, und es geht ab in die Berge. Die angepeilten 101 Kilometer nach Takengon, die wir ursprünglich an einem Tag fahren wollten, geben wir am Nachmittag bei Kilometer 45 auf. Ein Hotel gibt es in dieser Gegend nicht. Aber als wir bei Einheimischen fragen, wo wir übernachten können, bieten sie uns sofort ein Zimmer bei ihnen an. Auch am nächsten Tag scheinen wir Takengon nicht mehr zu erreichen: Unsere Mittagspause wird immer länger, da es in Strömen giesst und wir keine Lust haben durch den Regen weiterzufahren. Auch heute erhalten wir jedoch am späten Nachmittag erneute eine Einladung, diesmal von Dedi, der uns bei sich und seinen Eltern schlafen lässt.
HELLO MISTER!!!!
Die wunderbaren Einladungen in Sumatra gehören selbstredend zu unseren schönsten Erlebnissen. Auch die Landschaft ist durchaus nett und abwechslungsreich, und dass es sich ständig zwischen Regenergüssen und prallem, heissen Sonnenschein abwechselt, machte uns auch nicht viel aus. Aber das ständige, permanente, penetrante Angegröle von Leuten raubt uns den letzten Nerv. Aus vorbeifahrenden Bussen, von den Menschen an Häusern an der Strassenseite, oder von begleitenden Motorrädern, alle grölen uns zu: "HELLO MISTER", "HELLO LADY", "Where are you going", "What happened", "What are you doing here", "Ke Mana, Mister?". Auch wenn die Leute es nur gut meinen, wenn Dir der tausendste Mensch mal wieder ein freundlich gemeintes "HELLO" zugegröhlt hat, und du schon fast taub bist, dann wollen wir ihn lieber er&##*§$!!#% anstatt freundlich zurückzugrüssen, so wie wir es die ersten schätzungsweise tausend Mal gemacht hatten.
Angekommen in Takengon am Tawarsee nehmen wir uns ein wirklich sehr nettes idyllisch gelegenes Hotel direkt am Seeufer. Die nächsten Tage haben wir kaum Lust, das Hotelzimmer zu verlassen, und die weitere Strecke, die laut Beschreibung extrem steil sein sollte, sowie die schreienden Einheimischen, wirken wie eine Blockade für uns. Daher entschieden wir uns, per Bus ins 160km entfernte Bjangkejeren zu fahren. Einen Bus zu finden ist kein Problem, wie meistens klettere ich selber mit aufs Dach und sehe zu, dass die Einheimischen unser Tandem auch gut festbinden. In der Regel machen sie ihre Sache gut und sind es gewohnt, Gepäck z.B. auf dem Dach zu verstauen. Aber ich mache ebenfalls meistens dann gerne auch nochmal einen Knoten extra rein.
Erneute sexuelle Belästigung
Die 164 km Busfahrt verläuft weitestgehend angenehm, der Bus schlängelt sich in Serpentinen, teilweise extrem steil, durch die Berge Sumatras auf und ab. Bis wir dann in Ise Ise an einem Restaurant anhalten, um Mittagspause zu machen. Mandy geht auf die Toilette, und erspäht an der Seite auch prompt die Glubschaugen von jemandem, der durch ein Loch reinguckt und sie beglotzt. Ich bin stinksauer und versuche bei den Einheimischen einen mittleren Aufstan zu machen. Aber leider bringt das auch nichts, da ich leider nicht weiss wer es war, und verpetzt wird auch niemand. Also setzen wir uns frustriert wieder in den Bus und fahren weiter nach Blangkejeren.
Wanderung im Regenwald
Benny: Am nächsten Tag fahren wir dann ab Blangkejeren per Tandem durch netten Regenwald weiter nach Ketambe, mitten im Gunung Leuser Nationalpark. Die Wanderung von dort aus durch Regenwald und zu heissen Quellen war eine wunderbare Erholung, die uns Kraft für die Weiterfahrt gab. Die weitere Strecke war auch sehr nett: Wir fuhren durch ein Tal, wo gerade Erntezeit der Durian-Frucht war. Ständig ging es steil bergauf und bergab. Irgendwann waren wir dann am Rand des Vulkankraters am Tobasees angekommen, und phantastische Blicke eröffneten sich uns auf den knapp 1000 Meter tiefer liegenden See.
Die letzte unserer Etappen auf Sumatra führt uns in achteinhalb Stunden in den Touristenort TukTuk. Einerseits haben wir nun zwar die 30.000 km voll. Aber andererseits haben wir keine Lust mehr, noch mit dem Tandem durch Sumatra zu fahren. Aktuell empfinden wir Fahrradfahren auf Sumatra eher als Qual denn als Freude oder Abenteuer. Uns ist nach Ruhe und Erholung, daher bleiben wir erst mal eine Woche am Tobasee. Mehr oder weniger "spontan", auch bedingt durch Streiks und ein Flugzeugchaos in Bangkok, wird der Flug von meiner Schwester gezwungenermassen umgebucht, und wir bekommen schon eher als geplant in Indonesien Besuch von ihr am Tobasse, nun schon das zweite Mal, nachdem sie uns schon im September in Thailand besucht hatte.
Zusammen fahren wir dann per Bus weiter nach Dumai. Eine komplette Nacht sitzen wir in diesem Gefährt, das irgenwie viel zu schnell über tausende von Schläglöchern hinwegholpert. Am nächsten Morgen in Dumai steigen wir dann genau so erwartungsvoll wie geschafft um in ein Boot, das uns nach Singapur bringen soll...
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