Aufstände in Lhasa, März 2008 - ein Erfahrungsbericht
Nach unserer Rückkehr vom Wandern überschlugen sich die Ereignisse:
Zuerst kamen wir in einem kleinen Dorf an, wo wir freundlich in eine tibetische Teestube eingeladen wurden und wo wir uns sehr wohl fühlten. Die Einheimischen waren sehr freundlich. Doch einige andere Männer kamen an, und die Stimmung wurde irgendwie komisch. Und nach 2 Stunden standen 3 Polizisten plötzlich mitten in diesem Dorf in der "Pampa", und sagten, wir würden jetzt zusammen weiterfahren.
19.03. in Lhasa
Wir mussten mitkommen, und Sie brachten uns in den nächsten grösseren Ort, nämlich Nangartse. Dort wurden wir spät am Abend noch verhört: "Was macht ihr hier, diese Gegend ist geschlossen für Touristen!"
Von Polizisten wurden wir zu einem Hotel gebracht, die Tür hinter uns verriegelt. Am nächsten Morgen mussten wir uns wieder bei der Polizei melden. Doch unser Erstaunen war gross, als am nächsten Tag der Polizeichef nicht mehr da war - der wäre nach Lhasa gefahren! Und was ist mit uns? "Wenn ihr ein Auto findet, könnt ihr nach Lhasa fahren". Gesagt, getan. Nach 2 Stunden hielt ein Auto an, das 2 Leute mitnahm. Da wir beiden schnell aus Lhasa weiter wollten, waren unsere Freunde Thorsten und Claude mit denen wir wandern waren so nett, uns vorzulassen und noch zu warten, also trennten wir uns. 90 Kilometer später war unser Fahrer an seinem Ziel, wir mussten uns also einen anderen Transport suchen. Als wir bei einigen Bussen fragten, ob Sie nach Lhasa fahren, hörten wir die Schreckensnachricht: "In Lhasa hat es Aufstände gegeben!". Einige Tibeter hatten scheinbar Angst uns nach Lhasa zu fahren, dann konnten wir doch eine Mitfahrt bei einem Tibeter in einem Kleinbus organisieren, doch auch nur bis zum Stadtrand. Dort stiegen wir dann um zu einem chinesischem Taxifahrer, der uns am Potalapalast raus schmiss. Hier war nun endgültig Schluss. Bis dahin passierten wir bestimmt schon 10 Polizeisperren, eine der schwersten am Stadtrand von Lhasa, wo Militär mit Geschütz die Strasse blockierte und jedes Fahrzeug kontrollierte.
Ab dem Potala Palast alles durch Soldaten abgeriegelt
Kurz vor dem Potala Platz angekommen, war dann der Eingang der Stadt komplett vom Militär abgeriegelt. Auch nach längerer Diskussion liessen sie uns nicht durch. Wir versuchten es an einer anderen Stelle. Auch hier wollten Sie uns nicht rein lassen. Doch hier wollten wir nicht locker lassen, und wir diskutierten weiter, auch wenn es zum Teil gelogen war, um unser Ziel zu erreichen (Geld und Essen): "Wir haben kein Geld mehr und kein Essen, keinen Platz zum Schlafen. Wir waren 6 Tage wandern und haben uns seitdem nicht waschen können. Wir haben all unsere Sachen in unserem Hotel!". Doch wieder liessen die Soldaten nicht locker. Doch wir hatten Glück: Ein Tibeter, der an der Strasse stand, sprach Englisch und wollte uns helfen. Scheinbar hatte er Kontakte. Denn nach einer halben Stunde kam ein Polizeiwagen, der uns zu unserer Jugendherberge in der Innenstadt fahren wollte. "Wo sind ihre Pässe?" Wurden wir gefragt. Zu dumm nur, dass wir die genau in diesem Moment nicht haben, da wir sie zu einer Visumsagentur nach Shanghai geschickt hatten. Trotzdem waren die Polizisten nach einer Weile bereit, uns mit unseren Passkopien zu unserem Hotel zu fahren. Einmal stockte uns noch der Atem, als ein Polizist unsere Passnummern am Telefon durchgab: Würden Sie rausbekommen, dass wir gestern in dem kleinen Dorf verhaftet wurden? Nein. Scheinbar hatten wir Glück: Wir konnten ins Auto einsteigen und losfahren. An jeder Ecke waren nun Soldaten, aber scheinbar hatten unsere Fahrer einen recht hohen Dienstgrad und konnten durchfahren. Je näher wir der Innenstadt kamen, desto stärker war das Ausmass der Verwüstungen sichtbar. Geschäfte waren ausgebrannt, Autos, Fahrräder und Motorräder demoliert, abgebrannte Kleider, und andere Waren lagen auf der Strasse. Auch in unmittelbarer Nähe von unserem Hotel lagen viele Läden in Schutt und Asche. Endlich erreichten wir dann unsere Jugendherberge, die geschützt in einem Hinterhof liegt.
Wir sind froh dass wir endlich ankommen sind und erst mal ein bischen erleichtert. Etwa 35 andere Touristen erwarten uns schon und wollen unsere Geschichte wissen, wo wir denn nun gerade herkommen, und wir wollen natürlich wissen was passiert ist. Es begann wohl alles mit einer Demonstration an einem Kloster, an dem die tibetischen Mönche Ausgangssperre hatten. Die Menge wurde immer grösser, die die Polizisten unter Druck setzten, die per Menschenkette das Kloster abriegelten. Schliesslich flohen die Polizisten unter dem Druck der Menschenmenge. Ein Polizist starb weil er durch einen Stein getroffen wurde und nicht mehr wegrennen konnte. Dann entlud sich der Frust der Tibeter vollkommen: Steine flogen, chinesische Geschäfte wurden in Brand gesetzt, ganze Ladenzeilen komplett verwüstet. Dahergelaufenen Chinesen wurden verprügelt. Leider richtete sich die Gewalt zu einem gewissen Teil auch gegen einfache Menschen, sogar auch gegen Frauen und Kinder, die nun als Sündenbock herhalten mussten. Ebenfalls versuchten die Tibeter die Moschee in Brand zu stecken. Direkt im / neben dem tibetischen Viertel sind nämlich Muslime angesiedelt worden. Das ist für die Tibeter ebenso eine Provokation.
Die Gewalt verurteilen, den Frust verstehen
Diese Gewalt muss man natürlich scharf verurteilen, denn Gewalt kann niemals die Lösung sein. Den Frust der Tibeter verstehen wir jedoch schon und fühlen mit Ihnen mit. Denn die Tibeter stehen gerade vor dem kompletten Verlust ihrer Kultur. Mittlerweile sind sie gegenüber den chinesischen Siedlen in Lhasa in der Unterzahl. Angeblich sollen nur 30.000 Tibeter gegenüber 270.000 Chinesen in Lhasa leben. Das Geld sitzt in chinesischer Hand, und chinesen lernen meist kein Tibetisch. In Betrieben und Geschäften wird also chinesisch gesprochen, und Tibeter die kein chinesisch sprechen haben massive Nachteile bei der Suche des Arbeitsplatzes. Regierungsmitarbeiter, dazu zählen auch Lehrer, müssen sich von jeglicher Religion lossagen und dürfen kein Kloster besuchen. Für die oft tief religiösen Tibeter ist das natürlich wie ein Schlag ins Gesicht: Entweder können Sie diese Arbeit also nicht ausführen, oder Sie müsen sich komplett von ihrem bisherigen Leben losagen.
Jetzt geht alles mehr und mehr in Richtung normalität zurück, auch wenn Teile des tibetischen Viertels noch komplett durch das Militär abgeriegelt sind. Angeblich sind, je nach Quelle, zwischen 200-500 Tibeter verhaftet worden. Angeblich haben sich ebenso ca. 100 Tibeter der Polizei gestellt. Als Tourist kann man sich tagsüber, abgesehen vom tibetischen Stadtkern, nun frei in Lhasa bewegen. Nachts herrscht jedoch nach wie vor Ausgangssperre. Wir persönlich bleiben noch eine Weile in Lhasa, da wir wie schon geschrieben leider unsere Pässe genau im scheinbar ungünstigsten Moment nach Shanghai zu einer Visumsverlängerungsagentur geschickt. Allerdings herrscht aktuell ein Visumsstopp, so dass wir unsere Pässe noch nicht mit einem neuen Visum zurückschicken lassen. Wir hoffen, dass die chinesischen Behörden nun alsbald wieder Visa ausstellen, und dass wir dann, wenn sich die Lage weiter entspannt, hoffentlich so bald wie möglich unsere Reise fortsetzen können.
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