Bericht 40: Durch die Abgeschiedenheit Westtibets

Durch die Abgeschiedenheit Westtibets

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5.10.07 - Neuer Start, neues Glück...

Das Dorf Kudi hat uns wieder. Hier endete vor ungefähr einem Monat unsere Fahrt nach Westtibet, als uns zunächst die Hinterradnabe riss und wenig später die Federgabel brach.

05. Okt- 04. Nov

Einen Monat haben wir in Kashgar verbracht, und mit Spannung warteten wir jeden Tag auf unser Paket. Wir sind nun Dank unseres Sponsors "Hase Spezialräder" mit neuer Federgabel und sogar mit einer Rohloffnabe ausgestattet. Aus Zeitgründen fahren wir mit dem gleichen netten Kurierfahrer wie auf der Hinfahrt zurück nach Kudi und sind auf dem Weg erstaunt und erschreckt zugleich. In Kudi liegt bereits Schnee auf den Bergen und es ist kalt geworden, doch das macht uns wenig Sorgen, da wir warme Kleidung und gute Schlafsäcke dabei haben. "War an der Stelle nicht ein kleiner Bach?" fragen wir uns gegenseitig mehrfach auf der Fahrt. Wir machen uns vielmehr Sorgen um die Wasserversorgung auf der ca. 900 Kilometer langen Waschbrett-, Sand- und Steinpiste in der Abgeschiedenheit Westtibets und des Aksai Chin Plateaus. Oft werden wir Tage unterwegs sein, ohne Dörfer zu sehen und werden wegen der Höhe viel trinken müssen.

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Auch unsere Lenkung bereitet uns Kopfzerbrechen. Obwohl der Steuersatz festgezogen ist, fährt sich unser Tandem selbst auf Asphalt wie auf rohen Eiern. Erst als wir mit der Einstellung der neuen Gabel ein wenig herumexperimentieren und unsere relativ schweren Küchentaschen von vorne mit zwei leichteren Kleidertaschen von hinten tauschen, funktioniert die Lenkung wieder gut. Durch das grosse Gewicht am vorderen Gepäckträger war unsere Federgabel so stark eingesunken, dass der Rahmen auf dem Bügel der Gabel auflag und somit die Lenkung behinderte.

In Kudi finden wir in einem chinesischen Restaurant ein klitzekleines Zimmer, fast eine Schuhschachtel zum schlafen und bauen unser Tandem im Restaurant zusammen, während aus dem Hinterzimmer laute Stimmen ertönen. Dort wird das Spiel Majong gezockt, und der Verlierer zahlt unter lautem Gezeter jeweils den hohen Einsatz von 10 Yuan, was ungefähr einem Euro entspricht. Beim Spiel Majong gewinnt die Person, die nach einem bestimmmten System am schnellsten alle Spielsteine los wird, in dem sie Dreierpaare mit gleichen Symbolen findet. Uns stört das nicht und wir bekommen fast Lust auch zu spielen. Doch auf den Nerv geht uns das Geplärre des kaputten Fernsehers, der alle Stimmen seltsam verzerrt klingen lässt wie Ausserirdische. Der Wirt legt zu allem Übel eine DVD nach der anderen ein, doch er scheint an den Fernseher gewöhnt zu sein- oder verbessert vielleicht seine Buddl Schnaps den Höreindruck?

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6.10.07 - Prust, Schnauf, Hechel...

"Sind das zwei Schnecken am Berg?" fragen wir uns, als wir nach einem Monat Pause den Berg raufhecheln. Das liegt definitiv nicht an der Höhe, denn die ersten knapp 30 Kilomter hinter Kudi sind wir das letzte mal noch fast spielend raufgefahren. Alle paar Kilometer müssen wir auf dem noch glatten Asphalt und der sanften Steigung stoppen, jedesmal kühlen wir aus, zerrt der Wind an uns. Am späten Nachmittag haben wir genug für den ersten Tag, und kurz bevor wir stoppen, überholt uns noch der italienische Radler Massimo, der noch weiterradelt, waehrend wir unser Zelt aufbauen- nach 17 Kilometern! Nach seiner spannenden Theorie soll es in Tibet wärmer werden - "Guter Witz" denken wir noch, bevor jeder für sich grübelt, wie wir bei diesem Tempo vorankommen sollen. Am zweiten Tag starten wir erst spät und unsere Tageskilometer sinken weiter- auf 11 Kilometer. Immer wieder sehen wir Strassenbauarbeiter, die per Hand Regenwasserkanäle errichten und trotz der harten Arbeit oft ein Lächeln auf den Lippen haben. Als wir Abends zwischen zwei Bauarbeiterzelten unser Zelt aufschlagen und bei Kerzenschein unsere Nudeln essen, rufen uns ein paar Arbeiter von draussen zu. "Oh nein, bitte jetzt keine neugierigen Gröler" ist der erste Gedanke, doch wir werden beschämt. Stattdessen winken sie uns freundlich zum Essen in ihre Zelte herüber. Wir danken ihnen, doch winken freundlich ab, da wir schon Essen zubereitet haben. Der Fluss neben uns verbreitet eine feuchte Kühle, doch Dank unserer Kerze springt das Thermometer von fünf Grad auf satte sechzehn Grad hoch. Wie gut, dass wir für die nächsten Tage noch zwei weitere Kerzen dabei haben...

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8.10.07 - Schnee, Mäuse und Knieschmerzen

Gedämpft klingen am Morgen die seltenen Motorengeräusche an unsere Ohren- etwas ist anders heute. Ein Blick nach draussen zeigt uns eine wunderschöne Schneelandschaft. Eigentlich mögen wir Schnee, doch müssen wir ihn jetzt schon bekommen? Werden wir auf dem Schnee mit unserem Tandem fahren können? Doch unsere Sorgen sind vorerst unbegründet, denn bis alles gepackt ist, hat die Sonne den Schnee weggeschmolzen. Heute beginnen die ersten Serpentinen auf noch relativ guter Piste und wir entwickeln eine neue Technik, den Berg hochzuschnaufen. Wir fahren nicht mehr, bis wir komplett kaputt sind und wir eine längere Pause einlegen müssen, sondern halten viel öfter kurz an und kommen so auch einigermassen gut voran. Doch Mandys Knie tun weh durch die nicht mehr gewohnte starke Belastung. Auch heute schaffen wir es nicht, den 4980 Meter hohen Chiragsaldi - Pass zu überqueren. Leichte Kopfschmerzen stellen sich wegen der ungewöhnten Höhe ein, und wir schlafen eine letzte Nacht vor dem Pass, diesmal in einer verlassenen Strassenarbeiterstation. Wir kehren den Dreck im saubersten Zimmer beiseite, staubige Umrisse erzählen uns von anderen Radlern, die hier schon genächtigt haben. Auf den Matten sitzend kochen wir Nudeln mit getrockneten Pilzen, Tomaten und Tofu und haben auf 4450 Metern Höhe grosse Mühe einzuschlafen, da der Puls in Ruhe immer noch rast und die Atmung schwerfällig ist. Nachts rascheln Mäuse im umliegenden Müll und erstarren lautlos wie ertappt, wenn wir sie anleuchten. Erst als wir aus dem Schlafsack kriechen und den Müll aus dem staubigen kalten Zimmer rausschaffen, haben wir Ruhe.

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09.10.07: Tagebucheintrag Mandy - Schmerzhafter Anstieg

Der Wecker klingelt und jede Bewegung meiner Beine tut weh. Es sind nur noch 11 Kilometer bis zum höchsten Pass unserer bisherigen Reise, und eine lange Abfahrt danach würde uns zum Dorf Mazar bringen, wo uns Wärme und gutes Essen erwarten würde, doch am liebsten würde ich heute einen Ruhetag einlegen. Als ich raushumpele, ist keine Wolke am Himmel zu sehen, die Sonne wärmt schon und ich denke mir "Komm jetzt, reiss' dich mal zusammmen, es sind nur noch 11 Kilometer bis zum Pass und wir haben endlich mal gutes Wetter". Wir packen alles zusammen und sitzen auch bald auf dem Rad. Schon nach den ersten Tritten steigen mir die Tränen in die Augen, die Knie tun so weh wie nie zuvor. Auch wenn wir vielleicht ein wenig Zeit mit dem Taxi durch die flache Ebene gespart haben, so kommt jetzt die schmerzhafte Erkenntnis, dass uns das Training gut getan hätte und wir nun durch schlechte Kondition die Zeit verlieren, die wir gehofft haben einzusparen. Das erste Mal auf der Reise nehme ich eine Schmerztablette um voranzukommen. Wie erwartet sind wir extrem langsam, wir müssen noch einen Platten flicken, doch die Knieschmerzen verschwinden und stattdessen habe ich nun Kopfschmerzen. Die Höhe bringt unseren Puls schon nach 30 Metern Fahrt wie nach einem 100 Meter Sprint zum rasen und ich bekomme eine leise Ahnung, wie schwierig die Anstrengung für Bergsteiger auf 8000 Meter Höhe sein muss. Erst zwei Stunden vor Sonnenuntergang erreichen wird den Pass und nach einer langen Abfahrt verkünden wenige rauchende Schornsteine aus Baracken in Mazar Wärme und gutes Essen. Es ist nur eine winzig kleine Hütte mit wenigen Tischen und Stühlen, doch in der Mitte bollert ein Ofen, vor dem ein kleiner, von allen gehätschelter Hund liegt. Im Raum nebenan gibt es zwei Reihen mit Liegen, auf denen wir zwei Nächte schlafen und erst mal einen Ruhetag einlegen, obwohl wir ja noch gar nicht so viel gefahren sind.

Hallo Waschbrett!

Von Mazar aus geht es weiter entlang eines Flusses. Es ist angenehm warm im Flusstal auf 3800 Metern. Angenehm warm, das heisst, wir fahren mit langer Unterwäsche und darüber zwei Pullovern. Hier erwartet uns angeblich unsere erste richtig schlechte Strasse, sprich einer Oberfläche wie bei einem Waschbrett, wo wir auf unserem Fahrrad so richtig durchgeschüttelt werden. Jetzt haben wir nicht mehr mit dem Berg zu kämpfen, sondern kommen aufgrund von der schlechten Strasse nur mit einem Schnitt von unter 9 km/h voran. Doch ganz allmählich scheint die Form zurückzukommen, und wir schaffen in über 5 Stunden immerhin 48 Kilometer. Am nächsten Tag geht es auf den nächsten Pass: Wieder knapp 5000 Meter hoch, schaffen wir es diesmal zumindest bis zum frühen Abend auf die Passhöhe, und sind froh, auf der anderen Seite schnell an Höhe zu verlieren, da wir uns beide nicht allzu wohl fühlen. In einem nicht ganz verlassenen Strassenbauarbeiterhaus bekommen wir von zwei Uighuren noch Brot geschenkt. Danach verkriechen wir uns schnell in unseren Schlafsäcken für eine weitere der Nächte, die nun immer kälter werden. So langsam geht es nämlich in Richtung des Aksai Chin Plateaus, eine der grössten Hochebenen der Erde. In den Bruchbuden von Xaidulla geniessen wir noch einmal eine warme Nacht, bevor wir die nächsten 9 Tage bei zum Teil eisigen Temperaturen zelten müssen.

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18.10.07: Tagebucheintrag Mandy - Eistreppen, kalte Nächte und hitzige Gespräche

Ich kann mich selten daran erinnnern, so wenig Lust zum Radfahren gehabt zu haben. Eine unschuldige Frage am Morgen löst eine Lawine kleiner Anspannungen los, und wirbelt eine Menge Missverständnisse auf. Kurz gesagt, wir streiten uns. Zu allem Übel reisst auch noch mein Daunenüberschuh, den ich besonders heute dringend brauche in der Kälte, und als ich ihn im kalten Wind schnell mit Angelsehne flicke, platzt mein rechter ramponierter Daumen auf und fängt an zu bluten. Mist! Lustlos radele ich die ersten Kilometer, und erst nach einer kurzen Pause mit Tee, Keksen und einem klärenden Gespräch fühle ich mich gestärkt und bereit weiterzufahren. Von einem breiten Flusstal führt uns die Strasse in die Berge, unserem ersten Fünftausender Pass entgegen. Von weitem schon sehen wir einen Gletscher, der uns seine Zunge wie bei einem "Bäh" entgegenstreckt und dessen kaltes Wasser Eistreppen in einem Fluss formt. So etwas habe ich noch nicht gesehen! Als wir noch höher steigen, sehen wir, wie sich der Eissfluss im Tal netzartig verzweigt. Überall knackt es, die Sonne taut gefrorene Bäche auf, und auch wir nutzen die Wärme und trocknen unsere Schlafsäcke und das Zelt, die wie jeden Morgen nass sind von unserer Atemluft in der Nacht. Heute schlafen wir in einer halbwegs windgeschützten Stelle, einer Art Baggerloch. Wir essen noch den Reis vom Vortag, und in der Nacht schlafen wir nur wenig, es will einfach nicht warm werden. Unsere Schlafsäcke sollen laut Hersteller bei Minus 18 Grad komfortabel warm sein, doch unser Thermometer ist am Anschlag bei Minus 25 Grad, und wir wissen nicht wie kalt es ist. Übermüdet wachen wir morgens auf. Es war so kalt dass ich ab vier Uhr morgens jede halbe Stunde auf den Wecker geschaut habe. Die Sonne ist zwar schon aufgegangen, doch sie scheint noch lange nicht auf unser Zelt, und es ist eisigkalt. Benny jedoch will unbedingt aufstehen und Wasser machen, meine Einwände, dass es doch noch viel zu früh sei und draussen zu kalt, wischt er hinweg. "Das geht schon" sagt er, zieht sich mehrere Schichten an und stiefelt hinaus. Nur 10 Minuten später kriecht ein Eisklotz zurück in den Schlafsack und brummelt: " Morgen stehe ich nicht mehr so früh auf" Aber mein Held hat tapfer das Wasser heiss gemacht und so können wir doch noch heissen Kaffee trinken. Laut dem Italiener Massimo soll es ja in Tibet wärmer werden (haha), das Aksai Chin Plateau ist jedenfalls schw...kalt. Aber noch sind wir ja nicht in Tibet.

22.10.07 - Traum vom Schlaraffenland...(Tagebucheintrag Mandy)

Wahrscheinlich so oft wie noch nie denken wir ständig in den letzten Tagen an Essen. In der Kälte und auf den schlechten Pisten spendet uns Müsli am Morgen sehr viel Energie für den Tag, doch wir mögen es nicht besonders und drücken uns darum, so oft es nur geht. Als Vegetarier lieben wir Obst, doch das ist den wenigen Orten nur selten erhältlich und so fangen wir nach 2 Wochen mit Trockenfrüchten beim Anblick eines Apfels an zu sabbern wie der Pawlowsche Hund bei der Glocke. "Eine Mischbrotscheibe- kann von mir aus ruhig alt sein- und darauf richtige Butter, Goudakäse und Rukola, was würde ich jetzt dafür geben" schwärme ich Benny auf dem Weg zum Tagesziel Tielong vor, wo uns warmes Essen erwartet. "Ein Körnerbrötchen, mit Räuchertofu, Avocado und Mandelschmelz, dass würde ich jetzt gerne essen" haut Benny auf den Putz und in solchen Momenten liebauäugeln auch wir mit einer Kaffeemaschinen- Toaster- Beziehung, doch wir halten tapfer stand. Tielong ist ja nicht mehr weit.

Irgendwann ist dann auch der letzte Pass vor Tielong geschafft. Doch auf den letzten Kilometern der Abfahrt gefriert unser erschöpftes Lächeln langsam zu einer Grimasse. Wir erblicken einen wunderschönen See mit tollem Bergpanorama, und in der Mitte steht ein grosses Haus am erwarteten Kilometermarker, wo Tielong sein soll - im Wasser! "Das gibt es doch nicht, warum haben uns Kurt und Nathalie nichts davon geschrieben?" fragen wir uns hungrig und verfroren, als wir das Desaster erblicken und unser frischgebildeter Sabber in Erwartung des guten Essens schockgefriert. "Auch das noch, wir müssen durchs Wasser" sage ich zu Benny, "Zweimal!" An zwei Stellen läuft nämlich ein grösserer Bach über die Strasse. Den ersten können wir ja noch umgehen, indem wir das Tandem über einen Hügel zerren, doch beim zweiten heisst es: "Augen zu und durch" Benny will unbedingt barfuss fahren (die Sandalen sind nämlich tiiiief unter dem Zelt eingepackt) und ich lasse es auf einen Test der Goretexschuhe ankommen, notfalls haben wir ja Sandalen- brrr. Die Fahrt durch den Fluss geht gut, doch am Uferrrand auf dem Eis kippen wir um und Benny steht barfuss auf dem Eis. Wir zerren das Tandem mit aller Kraft ans Ufer und Benny schreit mit schmerzverzerrtem Gesicht: "Meine Tasche, das Handtuch!!!" und ich schreie zurück: "Sie geht nicht ab, ich schaffe es nicht". "Meine Tasche, meine Tasche" brüllt wieder Benny und als ich sie nach langem Kampf mit kalten Fingern endllich abbekommen habe, kommen mir vor Erschöpfung die Tränen.

Tielong unter Wasser?

Ich bin fix und fertig und die Aussicht auf die Nacht ist miserabel, denn der Stopp in Tielong war eingeplant. Unser Wasserfilter gefriert vor Kälte und wir haben nur noch wenig Benzin, um zu kochen und um Wasser für uns sicher zu machen. Denn obwohl das Wasser hier so klar und sauber aussieht, kann man sich leicht die Reisekrankheit Gardia holen. Auch unsere Verpflegung ist mager, und schon wieder Müsli essen? Ein paar Jeepfahrer schenken uns Brot, Erdnüsse und Eier. Auf den Matten essen wir etwas, doch es ist zu kalt und windig. Der Kocher streikt zunächst, das Wasser im Filter gefriert und mir ist so unglaublich kalt, dass ich lange wie gelähmt auf unseren Matten sitze. Kleinste Anstrengungen fallen mir schwer, und mir wird auch so langsam alles egal. Benny geht es da noch besser, und während ich so gut es geht Sachen zu den Matten schleppe, baut er das Zelt auf. Wir schlafen wieder auf über 5000 Metern Höhe. Des Nachts will mich Benny erst wecken, weil er denkt dass Tiere ums Zelt streifen und schnaufen. Doch Fehlalarm, der schnaufende Rasselbock war nämlich ich!

23.10.07 - Dümmer als die Polizei erlaubt..(Tagebuch Mandy)

Am Morgen ist mir schlecht und kalt. Radfahren? Der nächste und erste tibetische Ort Sumxi ist 59 Kilometer entfernt, das ist mir heute zu weit und es geht mir nicht gut. Doch gegen Mittag fühle ich mich besser und Benny scherzt noch: "Achja, als du geschlafen hast, bin ich mal ein paar Meter gegangen und habe in Tielong etwas gegessen". "Das wäre ein schlechter Witz, wenn das wahr ist" kontere ich und gleichzeitig beginnt es zu rattern. Wir sind bereits vier Kilometer hinter dem Punkt, wo Tielong sein soll, aber war nicht von Baracken die Rede,und nicht von einem einzelnen Komplex? In Erwartung einer längeren Fahrt quäle ich mich aufs Rad und dann, nach nur einem Kilometer - ihr könnt es euch sicher schon denken - war Tielong, Restaurants und Schlafmöglichkeiten in Baracken! So beendeten wir die wohl kürzeste Etappe nach nur 1,2 Kilometern mit einem ungläubigen Lächeln auf den Lippen in einem kleinen chinesischen Restaurant.

Nach eingem Handeln sind wir uns mit dem Wirt auch über den Übernachtungspreis einig geworden. Leider funktioniert der Ofen jedoch nicht. Am frühen Abend kommen noch andere Gäste zum Schlafen in die kleine Baracke und wir sind erstaunt: ein reicher japanischer Tourist lässt sich von tibetischem Personal verwöhnen - insgesamt zwei Köche, zwei Fahrer und ein Touristenführer sorgen für sein leibliches und seelisches Wohl. Wenn er zum Pippi machen rausgeht, wird ihm die Jacke umgehängt, er lässt sich in seinem Sessel am Ofen bedienen wie ein König und er wird in der Nacht, als er schläft vom Touristenfüher zugedeckt. Drei Wochen hat er Zeit um von Lhasa nach Kashgar zu reisen. Während er im Jeep vorneweg kutschiert wird, transportiert ein LKW alles Zubehör. Wow, eine Reise in dieser Form erleben wir das erste Mal, aber mit seinem Luxus möchten wir nicht tauschen. Der Touristenführer spricht zwar japanisch und er hat sogar ein Satellitentelefon, doch ob er allein immer so viel Spass hat? Auch wenn wir uns manchmal quälen müssen, so überwiegt meist die Freude am Radfahren, an den Begegnungen, an den ungeplanten Überraschungen.

Freundliche Tibeter

Wir sind auf den chinesischen Besitzer wütend, denn auf ein Mal scheint der Ofen im Schlafsaal zu funktionieren, da ihm sonst wahrscheinlich die Gäste durch den Lappen gegangen wären. Wir geben ihm das auch zu verstehen und planen, ihm am nächsten Morgen etwas bei der Schlafgebühr abzuziehen. Doch es kommt anders. Die Tibeter sind nett und verstehen uns auch manchmal mit Hilfe unseres kleinen Tibetisch-Wörterbuches. Als der chinesische Besitzer nicht da ist und der japanische Tourist schon schläft, schenken wir ihnen kleine Schlüsselanhänger, die wir in Dharamsala von einem Freund beim D.L. segnen liessen, die sie mit leuchtenden Augen entgegennehmen. Ein Koch zeigt uns verstohlen ein Foto von seiner Heiligkeit, und der Fahrer Lobsang ist wütend, weil der Japaner einfach so zum D.L fahren darf, während auf Tibeter an der Grenze geschossen wird. Doch auf uns sind sie nicht wütend und stecken uns unzählige Lebensmittel wie Orangenmarmelade, Erdnussbutter und Bier zu.

Morgen werden wir Tibet erreichen und unsere Vorfreude ist nach dieser wundervollen Begegnung riesengross. Auch die Wut auf den Wirt ist verraucht, denn zu sehr hat uns das Schicksal mit dieser Begegnung und dem Essen ;-) beschenkt.

Tagebucheintrag Benny - Auf gehts nach Tibet!

Morgens stehen wir erstmals seit einer Weile in der Dämmerung auf. Beim Frühstück werden wir nochmals vom tibetischen Koch des Japaners verwöhnt. Eigentlich sind wir heute mit unserem Müsli ganz zufrieden, aber der Koch bringt uns zuerst einen kleinen Pfannkuchen, dann noch einen, und später sogar noch Rührei. Ausserdem bekommen wir noch ein grosses Stück Käse geschenkt - wie lieb!

Um 9:50 Uhr sitzen wir auf dem Rad - so früh wie schon lange nicht mehr. Direkt steuern wir auf den heutigen ersten Pass zu. Heute fühlen wir uns beide recht fit, und der Pass ist auch nicht allzu steil. Die dünne Luft macht uns zwar zu schaffen, aber trotzdem erreichen wir Vormittags unseren bisher höchsten Pass mit 5350 Meter. Ein Stück haben wir zwar Abfahrt, aber der Radeltag wird noch hart: Uns erwarten noch 2 weitere Pässe mit jeweils 5265 und 5170 Meter Höhe, dazu kommt noch ein eisiger Wind auf, meistens leider aus der falschen Richtung. Der fiese Wind macht den Tag so kalt wie selten, ich trage 5 Schichten Anziehsachen, beim Bergauffahren - soviel habe ich sonst nur bei Abfahrten an!

Atemberaubende Landschaft

Doch die Landschaft entschädigt heute für vieles. Wir erreichen den Lungmo Tso, sprich den Lungmo See, der uns mit seinen tiefblauen Farben beeindruckt. Überhaupt ist die Landschaft so unglaublich, dass sich unsere Einblicke hier kaum in Worte fassen lassen. Denn hier oben auf über 5000 Metern ist durch den niedrigen Luftdruck die Sicht fast immer so klar, wie wir uns es bisher kaum vorstellen konnten. Vier junge Chinesen kommen uns auf Fahrrädern entgegen. Auch sie quälen sich mit der Höhe und dem Wind ab, nachdem sie schon von Peking bis hierher gefahren sind.

Die Strasse macht einen Knick nach links, und nun werden wir mit Rückenwind verwöhnt - bis nach ein paar Kilometern die Strasse wieder nach rechts abknickt und uns der Wind wieder gegen die Nase bläst. Das Stück was nun kommt hat es in sich: Es geht extrem steil bergauf zum Grenzpass zwischen Xingjiang und Tibet, dazu bläst ein kräftiger Gegenwind. Zudem sind wir schon sehr erschöpft. Also fahren wir eine halbe Minute, machen eine halbe Minute Verschnaufpause, fahren wieder, machen Pause. Zum Schluss müssen wir schieben, es geht einfach kaum mehr. Wir schleppen uns weiter nach oben, mit letzter Kraft erreichen wir den Pass. Von nun an soll es ja nur noch 12 Kilometer bergab gehen nach Sumxi. Doch was für eine Abfahrt! Zum Abschluss des Tages werden wir nochmal mit dem schlimmsten Waschbrett und der fiesesten Holperpiste bestraft, die man sich nur vorstellen kann. Mit letzter Kraft erreichen wir Sumxi, den ersten tibetischen Ort auf unserer Reise.

Zuerst scheint der Ort menschenleer zu sein, als wir zu einigen Häusern fahren. Doch dann erblicken wir die einheimischen Tibeter mit ihren traditionellen Gewändern und Mänteln, die sich stark von der doch recht westlichen Kleidung der Chinesen unterscheidet. Bei einer kleinen Familie können wir Nudeln und Blumenkohl zum Abendessen bekommen. Doch besser ist der warme Ofen, an dem wir uns nach dem eisigen Wind, mit dem wir heute zu kämpfen hatten, wieder aufwärmen können. Ein anderer Tibeter kommt mit seinem Sohn vorbei. Scheinbar will er seinen gebrauchten Taschenrechner verkaufen. Ich winke dem vielleicht 6-jährigen Sohn und lächele ihn an, aber er hat Angst vor mir! Er versteckt sich hinter seinem Vater! Eigentlich schade, doch irgendwie ist es eine schöne Abwechslung nach all den um Geld und Stifte bettelnden Kindern wie in Nepal, oder in Hunza in Pakistan. (Ende Tagebuch Benny)

25.10.07 - 31.10.07 - Sumxi - Domar - Rutok Xian - Ali

Nun sind wir endlich in Tibet und tatsächlich scheint es hier wärmer zu sein, denn nur wenig Schnee liegt auf umliegenden Berggipfeln. Dann hatte der Italiener Massimo ja doch recht, zu unserer Freude. Die Strassen jedoch scheinen so schlecht zu sein, wie nie zuvor, wir fahren auf einer bunten Mischung aus Waschbrett-, Stein- und Sandpiste, nachdem wir den vorerst höchsten Pass unserer Reise relativ locker raufgeradelt sind, den 5401 Meter hohen Kishan La Pass. Seit wir in Tibet sind, flattern an sogenannten "Kraftplätzen" wie Berggipfeln und Seen die bunten Gebetsflaggen der Tibeter, die aufgehängt werden um die Luft zu bereinigen und die Götter zu besänftigen. Die Farben rot, grün, gelb, blau und weiss repräsentieren die Elemente Feuer, Holz, Erde, Wasser und Eisen. Unser Etappenziel Ali ist nicht mehr weit, doch wir legen noch einen letzten Ruhetag in Domar ein. Dieser Ort ist wie Rutok Xian ein chinesischer Militärstützpunkt und die meisten Läden haben chinesische oder uighurische Besitzer, doch auch einige Tibeter leben hier.

Als wir Domar erreichen, stürmen sogleich tibetische und chinesische Schulkinder auf uns zu und fragen nach einem Stift (Ni you bi ma?) und klettern auf unser Tandem, die Racker. Gerne würden wir diesen Moment festhalten, doch als wir die Kamera rausholen, stieben alle schreiend davon. Sie haben Angst vor dem Fotoapparat! Diese Erfahrung ist auch für uns neu, denn meist wurden wir sogar gebeten, ein Foto zu machen. Als wir morgens Saft kaufen, schlafen zwei Tibeter in ihren Schaffellmänteln vor den Billiardtischen, und das bei der Kälte! Im Laden schnauzt ein chinesischer Besitzer tibetische Frauen an, weil sie zu viel anfassen. Dort gibt es auch tibetische Gebetsketten und Stoffe für Trachten zu kaufen. Auch ein anderer Tibeter mit Fellmütze wird nicht nett behandelt und scheinbar gedemütigt, der Besitzer kippt seine gesamten Einkäufe wieder aus und wirft sie umher, doch der Mann bleibt ruhig. Schattenseiten in einem besetzen Land, wo es mehr Chinesen als Tibeter gibt. Doch wir treffen auch sehr viele nette Chinesen und unser chinesischer Wirt sitzt Abends noch mit einem Tibeter zusammen und schwatzt. Obwohl wir in Tibet sind, fühlt es sich in den Orten an wie in China. Ab Rutok Xian haben wir sogar wieder Asphalt unter den Reifen. Auch die eingezäunten Yaks und die bunten Gebetsflaggen ändern nur wenig an dem Gefühl, aber wir sind ja auch erst seit kurzem in Tibet. Zur Zeit pausieren wir noch in Ali, einer Stadt wo es alles zu kaufen gibt.

Hier in Ali wollen wir noch das Fahrrad pflegen, ausruhen, Erledigungen im Internet sowie Einkäfe für die Weiterfahrt machen. Dann geht es weiter mit Besuchen bei den Ruinen um Guge, dem heiligen Berg Kailasch und dem Mount Everest Basislager. Hoffentlich können wir unser Visum in Tibet verlängern, um unseren Plan zu verwirklichen, Weihnachten in Lhasa zu verbringen.

 

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