Bericht 38: Militärstaat China

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Chinas wilder Westen (21. Aug - 31. Aug)

  • 22. Aug: Taschkurgan - Kelasu 55,6 km
  • 23. Aug: Kelasu - Karakul See 45,5 km
  • 24. Aug: Karakul See - Kashgar 191,8 km
  • 25. Aug - 31. Aug: Kashgar
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Westchina - So hatten wir uns China nicht unbedingt vorgestellt... ..aber als Polizeistaat schon eher, diese Soldaten sind aber überaus freundlich zu uns.
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 Neugierige Tadschiken fallen über unser Fahrrad her China - Karakorum Highway - Pause am Strassenrand

Militärstaat China - Voller Spannung geht es an die Grenze

Der Bus fährt die letzten 200 Meter über den Grenzstrich zwischen China und Pakistan. Wir sind schon total aufgeregt! Wir wollen ja mindestens die nächsten 4 Monate in diesem Land verbringen, vielleicht auch mehr. Und viele Touristen haben uns auch von unangenehmen Dingen in diesem Land berichtet, dass die Chinesen keine Manieren hätten, unfreundlich seien und einen auch sprachlich nicht verstehen könnten. Die erste Gepäckkontrolle in China ist mit der laxen Kontrolle in Pakistan jedenfalls nicht zu vergleichen. Alles muss vom Bus geladen werden, den wir hier ja gezwungenermassen nehmen müssen, da die Chinesen keine Individualradler passieren lassen - Militärgebiet. Benny geht 20 Meter weiter um mal zu schauen wie es wohl weitergeht, wird aber sofort vom chinesischen Soldaten gestoppt, mit der Aufforderung: "Bitte stellen Sie sich hinten an der Reihe an!" Auch beim Gang auf die Toilette - 4 Plumsklos nebeneinander, die Tür fehlt - kommt ein Soldat mit und passt auf, dass man keine verbotenen Sachen macht - was auch immer das sein soll.

Doch nachdem alle Pakistanis ausgiebig gefilzt wurden, kommen auch wir an die Reihe. Doch nun schlagen die Chinesen einen ganz anderen Ton an, und Sie sind ganz aufgeregt über die kleinen Flaggen von all den Ländern die wir schon bereist haben. Sie fragen uns nur: "Haben Sie eine Waffe dabei?" Nein, sagen wir. "Sind Sie sicher?" Ja, natürlich haben wir keine Waffe dabei. "Alles klar, Sie können durchgehen" sagen die Chinesen, und wir wundern uns ein bischen, dass Sie gar kein Interesse daran haben in unsere Taschen zu sehen, obwohl das Gepäck der pakistanischen Touristen doch so ausgiebig durchsucht wurde. Noch anderthalb Stunden müssen wir im Bus sitzen, dann wiederholt sich das Spiel mit dem Gepäck an der wirklichen Immigration nach China in Taschkurgan, die Pakistanis werden gut kontrolliert, unser Gepäck wird nur geröngt, nicht aber geöffnet, dann bekommen wir endlich unseren Einreisestempel und können uns frei in China bewegen. Frei? Na, hoffentlich, nach all dem was wir schon gehört haben!

Interessanterweise berichteten andere Reisende, die letztes Jahr China besucht haben, von ausgiebigen Kontrollen. Ein Berliner erzählt uns, dass vor ein paar Wochen während der Kontrolle ein Propagandafilm der chinesischen Regierung gedreht wurde. Alle Touristen mussten sich brav in eine Reihe stellen und im Chor sagen, das die Grenzbeamten sie freundlich und korrekt abgefertigt haben. Olympia steht vor der Tür und so ist China wahrscheinlich besonders darauf bedacht, in der Welt einen guten Eindruck zu hinterlassen. Somit sind wohl fürs erste die Zeiten vorbei, wo einem der Grenzbeamte den Pass entgegenschleudert. Stattdessen wird nett gelächelt, und auch im chinesischen Fernsehen erzieht die Regierung ihr Volk und verpönt beispielsweise das Spucken.

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Westchina - Traditionelle Tadschikin in aufgemotzter Tracht. Westchina - chinesisches Kind in tadschikischen Kleidern
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China - es fährt sich zumindest gut auf der frisch asphaltierten Strasse  China - Angehörige der Tadschikischen Minderheit nehmen Kontakt auf

Frei und reglementiert im Konsum-Kommunismus

Super! Nach den Restriktionen der muslimischen Länder sind hier einige Dinge, wie zum Beispiel kaltes Bier, wieder frei verfügbar! Ebenfalls geniessen wir auch das chinesische Essen. Denn die kulinarischen Genüsse liessen in Pakistan zu wünschen übrig. Erschwerend kam hinzu, dass wir Vegetarier sind und auch nicht gerne allzu scharf essen. Die unglaubliche, kaum noch für möglich gehaltene Auswahl der scheinbar endlos langen Speisekarte im chinesischen Restaurant ist für uns heute wie ein Segen, den wir genau so geniessen wie das kühle Bier. Des weiteren wissen wir aber noch nicht so ganz genau wie wir China einzuordnen haben. Ein bischen fühlen wir uns vielleicht wie in der ehemaligen DDR oder in Russland, aufgrund der Bauhausarchitektur und den vielen zwar sauberen, aber doch bunkerähnlichen Gebäuden. In der ersten chinesischen Stadt Taschkurgan schallt uns laute Propagandmusik entgegen und auch neben der Moschee in Kashgar wird zum Zeitpunkt des Muezzinrufes der Lautsprecher voll aufgedreht. Aber es gibt auch wieder alles zu kaufen in den Läden, wie bei uns zu Hause, und die weiten rechtwinkligen Strassen dieser Stadt mögen einen vielleicht an die USA errinnern.

In den ländlichen Gebieten, in denen Minderheiten wie Uighuren, Kirgisen oder Tadschiken wohnen, stehen meist jedoch nur einfache Steinhäuser, die teilweise unnatürlich geradlinig angeordnet sind. Scheinbar sind alle Minderheiten im Land von der Umsiedelungspolitik betroffen. Am anderen Morgen montieren wir einige Ersatzteile, die wir Dank unseres Sponsors Hase Bikes noch in Pakistan in Empfang nehmen durften. Als wir endlich losfahren, wundern wir uns, wie gut es sich auf einmal rollt. Klar, die Strassenoberfläche ist besser in China. Aber irgendwie fühlen wir uns schon so gut wie seit langem nicht mehr. Ob es an den hygienischen Verhältnissen liegt? In Pakistan hatte uns oft der Durchfall geschwächt, während in China alles irgendwie sauberer zu sein scheint. Durch eine Märchenlandschaft rollen wir vorbei an Kamelherden und an Dörfern vor der Minderheit der Tadschiken, immer mit Muztag Ata im Blick, was auf Türkisch "Vater aller Berge" bedeutet - dieser Riese mit circa 7500 Metern dominiert das Bild der Landschaft auf über 80 Kilometern. Später wandelt sich die Landschaft dann zur kompletten Steinwüste. Es wird langsam dunkel, und hinter einigen Felsen finden wir eine sicht- und windgeschützte Stelle zum Zelten, um uns herum nur Steine, in 500 Metern Entfernung ein kleiner Bach, und einige Kilometer über uns der riesige Muztagh Ata.

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Die Lebensstandards sind auch im Kommunismus unterschiedlich Westchina - Kamele vor dem Muztagh Ata (ca. 7500 Meter)
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 Die chinesische Mode ist bunter als die pakistanische oder deutsche Werbung vor einem Stand am Nachtmark in China

Die Minderheiten unterstützen

Am nächsten Morgen wäscht Benny die Töpfe und Teller vom Abendessen im kleinen Gebirgsbach, und ihm frieren auf dem Rückweg fast die Finger ab. Wir lassen uns wieder Zeit mit dem Losfahren - es ist uns zuerst noch ein bischen kalt, wir sind immerhin auf 3700 Metern Höhe. Und so sitzen wir nach unserem Frühstück und dem Zusammenpacken erst nach 2 Stunden und nicht wie sonst schon nach einer Stunde auf unserem Tandem. Anderthalb Stunden geht es weiter bergauf, und es ist ganz schön kalt, bevor wir dann unseren bisher höchsten Pass mit 4080 Metern erreicht haben. Dank des guten Asphalts rollt es sich erstaunlich leicht nach oben, doch wir bekommen auch langsam die Hoehe zu spüren, denn wir sind ein bisschen kurzatmig und haben leichte Kopfschmerzen. Allzuweit ist es nun nicht mehr bis zum angeblich wundervollen Karakul See, von dem wir schon viel gehört haben. In der Tat ist er wunderschoen türkisfarben und über ihm thronen die Berge Kongur mit 7719m und Muztag Ata mit 7546 Hoehenmetern.

Am Ufer stehen unzählige Jurten aus Stoff und Beton von kirgisischen Halbnomaden und Chinesen, die hier ein tourisches Domizil errichtet haben. Hungrig und ein wenig müde stoppen wir willig bei den ersten Jurten, und sogleich kommen zwei kirgisische Frauen herangestürmt und machen uns mit Gesten deutlich, dass sie uns etwas zu essen machen koennen und wir dort schlafen koennen. Wir finden sie fast ein wenig zu aufdringlich, aber da wir hungrig sind und das Geld in dieser Gegend lieber bei ihnen unterbringen wollen als bei den Chinesen, lassen wir uns darauf ein. Uns gefällt, wie das Innere der Jurte mit Teppichen ausgelegt ist und wir freuen uns schon auf das Essen. Doch anstatt zur Ruhe zu kommen, bedrängt uns fortwährend der Hausherr dort zu schlafen: "sleeping, yeeessss!" (Schlafen, jaaaaaa) und schon bald kommt ein Freund von ihm der uns auch belästigt. Wir geben dem ganzen noch eine Chance und machen ihnen deutlich, dass wir ausruhen wollen und dort nicht schlafen werden. Kurze Zeit haben wir Ruhe, doch dann will er uns Ketten aus Kamelknochen verkaufen, was wir schnell abwehren. Endgültig haben wir die Nase voll, als unsere Wirtin auf ein mal den vereinbarten Preis des Essen verdoppelt. So ein Reinfall! Wir packen all unsere Sachen und stellen uns schon darauf ein, selbst zu kochen. Doch die Faulheit siegt, wir lassen uns diesmal auf ein groesseres Jurtencamp ein, wo die Leute nicht so aufdringlich sind, welches aber auch touristisch ist. Ein eigenes Zelt verkauft "Kirgisische Handarbeiten" und es steht auch ein Reisebus auf dem Gelände. Doch wir haben grosses Glück, denn wir treffen dort eine sehr nette schweizerische Reisegruppe dort an, die uns mit Lindschokolade verwöhnt und zum Essen einlädt! Von der chinessichen Reisebegeleitung Veven erfahren wir noch, dass uns ein Viersterne-Koch aus Hongkong verköstigt, der das Stadtleben satt hatte. Abends dürfen wir sogar umsonst unser Zelt aufstellen. Ende gut, alles gut! Wir sind froh, dass wir am nächsten Morgen den Karakulsee mit einer schönen Erinnerung verlassen.

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Westchina - Uighurisches Kind Westchina - Wir auf unserem bisher höchsten Pass (4080 Meter)
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Chinesisches Vergnügungsschiessen  Traditionelles Haus

Hinab durch die Ghez-Schlucht

Vom Karakulsee geht es am nächsten Tag in einem Ritt die 190 Kilometer bis nach Kashgar. Wir verlieren insgesamt 2500 Meter an Höhe und erreichen nach über neun Stunden Fahrt entlang des Ghez-Flusses, die Ghez-Schlucht, und schliesslich durch die Wüste unser Ziel. Der Weg dorthin führt durch ländliche Gebiete in denen viele Frauen erfrischender Weise zu ihrem bunten kleinen Kopftuch oft kurze Röcke tragen. Unzählige Eselskarren zuckeln durch die Landschaft, wir überholen einen stolzen alten Reiter mit kirgisischer Tracht, dicken Brillengläsern und perfekter Haltung. Wir selbst werden immer wieder von riesigen Jeeps überholt, die immer mal wieder chinesische Touristen ausspucken, die uns freundlich um ein Foto bitten und uns Wasser und Knabbereien schenken. Die Löhne in China sind in den letzten Jahren wohl allmählich gestiegen, so dass nun auch vermehrt chinesische Touristen das eigene Land erkunden. Erst in der Dunkelheit erreichen wir Kasgar, welches wider erwartetem Verkehrschaos mit seinen breiten Alleen erstaunlich modern wirkt. In den nächsten Tagen müssen wir das alte, muslimische Kashgar in all dem Konsumdschungel sprichwörtlich suchen, während der Grossteil der Stadt voller Shoppingmeilen fast aus den Nähten platzt, aus dene oft laute Musik wummert. Viele scheinen hier ihre Aufgabe sehr ernst zu nehmen und so werden auch wir streng zurückgepfiffen, als wir einen Platz unerlaubterweise mit dem Rad befahren.

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Tofu- und Gemüsespiesse - lecker! Aber wofür die das benutzen wollen wir gar nicht wissen...
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  Buntes Treiben in den wenigen alten Gassen in Kashgar, die noch nicht von den Chinesen platt gemacht und durch breite Strassen und neue Betonklötze ersetzt wurden.

Massenreiseradlertreffen in Kashgar

Im Seman Hotel finden wir ein günstiges Zimmer und treffen dort so viele Reiseradler wie nie zuvor. Mit dabei sind auch alte Bekannte wie Alex und Nico aus Frankreich, oder auch Claude und Nathalie aus der Schweiz. Wir treffen die letzten Vorbereitungen für Tibet, und ersetzen im gut sortierten Giant-Radladen einige Verschleissteile. Ausserdem decken wir uns mit sage und schreibe 7kg Müsli und anderen Nahrungsmitteln wie Tofu, Öl, Salz, vielen Trockenfrüchten und Milchpulver ein. Immer wieder klucken wir bis früh in die Morgenstunden im Biergarten zusammen oder besuchen Abends den Nachtmarkt mit dutzenden Essensständen, die unzählige Gemüse, Tofu, Fisch, Fleischgerichte grillen. Wenn es dunkelt wird, gehen Gitarristen mit Lautsprechern und Mikrofon durch die Reihen und wer will, kann etwas zu seiner Begleitung singen oder auch selbst spielen. Wir verwschinden seit langem mal wieder in einem der "Schwarzen Löcher", wo die Zeit wie im Fluge vergeht. Es ist manchmal einfach schön, sich mit anderen Gleichgesinnten auszutauschen und die Erlebnisse aus fremden Ländern zu reflektieren, über unsere wundern Hinterteile zu sprechen oder einfach nur ein kaltes Bier im Biergarten zu geniessen, in dem wir den einen oder anderen Abend noch bis tief in die Nacht sitzen. Es fällt uns nicht leicht Kashgar zu verlassen, doch der Winter kommt bald, und zudem sind wir schon sehr auf Tibet gspannt, in dessen Richtung wir Anfang September aufbrechen werden. Schon lange haben wir immer wieder über unsere Reise durch in Tibet nachgedacht. Jetzt endlich ist dieses sagenumwobene, mystische, buddhistische Land für uns in greifbare Nähe gerückt!

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Alte Männer sitzen in einer kleinen Gasse... ...während Sie gegenüber einen riesigen "Mao" hingestellt haben.
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China - Arme Bauern auf der perfekt asphaltierten Strasse China - Xingjiang - Fernradler treffen sich in Kashgar
 
 
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