Bericht 20: Pakistans wilder Westen

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Radeln in Belutschistan

    03. Nov: Taftan - Nokkundi 124,3 km
    04. Nov: Nokkundi - Yakmach 111,8 km
    05. Nov: Yakmach - Quetta (per Bus)
    06. + 07. Nov: Quetta
    08. - 09. Nov: Quetta - Multan (per Zug)
    10. - 12. Nov: Multan

Chaotischer Grenzposten

Wir schieben unsere Räder über die Grenze und sind in Pakistan. Und nun? Vor uns liegt der Grenzort Taftan. Scheinbar würde uns niemand hindern, wenn wir ohne Kontrolle weitergehen würden. Doch um legal im Land zu sein brauchen wir natürlich einen Einreisestempel, den wir uns nebenan in einem halbverfallenen Grenzhaus abholen müssen. Das Schild "Welcome to Pakistan" liegt im Dreck. Etwa 80 Einheimische stehen schon in der Schlange, doch da entdecken wir zu unserer grössten Freude einen kleinen Laden, der auch kühle Getränke hat. Eine kalte Fanta tut nach drei Stunden radeln in der Wüste sehr gut. Wir haben Glück und müssen uns nicht wie die Einheimischen hinten anstellen, sondern wir kommen direkt vorne an einem anderen Schalter für Ausländer dran, wo wir einen Stempel in den Pass bekommen und sogar von einer Webcam fotographiert werden - auch wenn das eigentlich gar nicht ins Bild von diesem heruntergekommenen Grenzposten passt.

Im Anschluss müssen wir uns dann noch beim Zoll melden. Mandy und Benno bekommen Gewürztee mit Milch gereicht, der uns wie die bemalten pakistanischen Lastwagen ebenfalls daran erinnert, dass wir uns jetzt so langsam aber sicher kulturell auf dem Indischen Subkontinent befinden. Unsere Passnummern werden nochmal in ein Buch eingetragen, und wir wollen gehen, aber wir dürfen noch nicht. Der Grund: Bennys Tee war noch nicht da - soviel Zeit muss sein. Doch dann sind scheinbar wirklich alle Formalitäten erledigt - Wir sind über die Grenze - Willkommen in Pakistan!

Im Grenzort Taftan nehmen wir uns ein Hotel, zu dem sich auch eine französische Familie mit ihrem Wohnmobil stellt, die zusammen 2 Jahre Urlaub machen und Ihre Kinder dabei auch selbst unterrichten. Doch Sie müssen Pakistan innerhalb von 72 Stunden durchqueren, während wir in der gleichen Zeit gerade mal 3 kleine Dörfer in der Wüste sehen können. Am Abend freuen wir uns noch über ein Restaurant in dem wir ein Gericht mit Reis und Blumenkohl gereicht bekommen, das unseren vegetarischen Gaumen sehr erfreut. Ausserdem fragen wir uns durch, und können schliesslich doch noch trotz später Stunde in einem Hinterzimmer 20 Euro zu einem ausserordentlich schlechten Kurs in Rupien tauschen.

Belutschistan per Rad erfahr'n

Früh am morgen stehen wir auf und fahren aus Taftan los. Und auf der weiteren Fahrt passiert - nichts. Wir sind in der Wüste. Links und rechts wechselt sich der Sand mit Steinen und manchmal auch mit ein bischen Gestrüpp ab. Der Horizont ist auf beiden Seiten der Straße von Bergen begrenzt. Wenn wir mal eine der seltenen Pausen einlegen, machen wir meist in winzigen Dörfern halt, wo wir endlich den ersehnten Schatten finden. Die Bewohner sind äusserst gastfreundlich, und bieten uns Tee oder etwas zu essen an. Den ersten Abend zelten wir in Nokkundi bei einer Polizeistation und werden auch hier freundlich aufgenommen. Ein diebisches Schaf schleicht sich abends noch heimlich an Bennos Vorräte heran und stibitzt eine Packung Nudeln, die Ihr Mandy und ein Einheimischer jedoch gemeinsam wieder abjagen.

Auch am nächsten Tag geht es weiter wie gehabt: Vorbei an Steinen, Sand, Wanderdünen - sogar ein paar Kamele können wir in der Ferne erspähen. Dann die Überraschung an einem Polizeikontrollposten, an dem wir auf einen Tee eingeladen werden. Ein grüner Bus fährt vor: Das sind Marco und Ela aus der Schweiz, die wir schon im Iran in Kerman getroffen hatten. Eine Weile freuen wir uns über die Begegnung und tauschen Informationen aus, doch dann hat uns die Realität der Wüste zurück, wo die Sonne auch im November den ganzen Tag auf uns niederbrennt. Im August wollen wir hier wirklich nicht sein!

Es geht gegen Nachmittag, und wir beide sind schon ein bischen fertig von der Anstrengung. Benno fährt schon vor, als wir unsere GPS-Batterien wechseln. Deswegen fahren wir allein in der Wüste, als auf einmal ein Auto langsam neben uns herfährt. Der Beifahrer schreit und macht eine Handbewegung, als wolle er etwas zerdrücken. Danach setzt er an, und spuckt auf uns. Wir weichen mit dem Tandem zur Seite neben die Strasse in den Schotter aus, und wieder spuckt der Beifahrer nach uns. Erst als Benny noch weiter nach links (Linksverkehr!) zur Seite ausweicht, fährt der Wagen endlich davon - und der Fahrer streckt seine Maschinenpistole aus dem Fenster hinaus in die Höhe!

Der Wagen ist zwar erst mal weg, aber der Schock sitzt ziemlich tief! Gottseidank sind wir schon fast im Zielort angekommen. Wieder ruhen wir uns erst mal aus und gönnen uns eine kühle Fanta, danach finden wir ein kleines Gasthaus in dem wir güstig unterkommen. Doch weiter sind wir traumatisiert von unserem vorherigen Erlebnis. Leider sind viele Menschen in dieser Gegend Analphabeten, und viele sind auch nicht in der Schule gewesen. Vielleicht ist es deswegen, wird uns gesagt, dass einige Einheimische solche weißhäutigen Ausländer wie uns für Engländer oder Amerikaner halten, die Sie verachten, da Sie sich in Islamischen Ländern wie z.B. in Afghanistan oder im Irak in Angelegenheiten einmischen die Sie nach Auffassung der Einheimischen nichts angehen. In jedem Fall entscheiden wir uns dazu, nicht mehr mit dem Tandem sondern mit dem Bus weiterzufahren, auch wenn wir froh sind, dass wir zumindest diese Teilstrecke mit dem Tandem gefahren sind. Zwar haben wir auch diese negative Erfahrung gemacht, aber wir können nun auch all diese positiven Eindrücke von gastfreundlichen und zuvorkommenden Menschen aus dieser "Todeszone des Grauens" mitnehmen.

Abenteuerbus

Nach einer erholsamen Nacht verabschieden wir Benno am frühen morgen der mit dem Rad weiterfahren will. Wir hingegen finden recht schnell einen Fahrer, der uns mit seinem Kleinlaster für ca. 3 Euro die 60 km mit nach Dalbandin nimmt. Gesagt, getan - wir laden Rad und Gepäck auf den Kleinlaster, zurren alles gut fest und los gehts - könnte man denken. Doch der Fahrer fährt erst noch durch das ganze Dorf, um weitere Mitfahrer aufzutreiben. Schlussendlich sitzen wir mit 8 Leuten auf 2 Bänken im Kleinlaster - zuzüglich eines alten Mannes auf der Ladefläche zwischen Tandem und Gepäck. Doch dann brausen wir wirklich los und rasen mit einem Affenzahn durch die Landschaft, die die letzten Tage so langsam an uns vorbeizog. Der Wagen hält als einige Leute an der Straße stehen. Ein Mann schmeißt sein Schaf in den Wagen und will auch einsteigen. Das klaustrophobisch beengt drein schauende Schaf löst selbst bei den Pakistanis Gelächter aus, doch es hat Glück, und der Mann steigt mit dem Schaf wieder aus, um in einem anderen Auto mitzufahren.

Allmählich erreichen wir Dalbandin, was sich als die grösste Schmugglerhochburg entpuppt, die man sich vorstellen kann: Auf mehreren Kilometern verkaufen die Leute Benzin aus Kanistern, das aus dem Iran ganz offensichtlich illegal eingeführt wurden. Auch die Hauptstrße im Ort könnte man als Europäer leicht als einen einzigen Viehmarkt bezeichnen, bei dem was sich da alles tummelt: Pferde, Esel, Schafe, Ziegen, Hunde und Hühner blockieren die Strasse. Im Busbahnhof angekommen, werden wir erst mal wieder von einer gaffenden Menschenmenge umringt. 2 Männer werden uns als "Taliban" vorgestellt, und ein gehörloser Busangestellter kümmert sich um unser Gepäck und trägt schließlich unser Tandem allein über eine Leiter auf das Dach vom Bus.

Etwa 15 Minuten lang hupt der Busfahrer mit penetranter Regelmässigkeit, um zu signalisieren dass er losfahren will. Der Bus ist so voll, dass die Leute sogar auf Kanistern und Hockern im Gang sitzen. Dann kann das Geholper also endlich losgehen! Der Bus brettert wie lebensmüde durch die Schlaglochpiste. Auf einspuriger Fahrbahn wird den entgegenkommenden Fahrzeugen erst im letzten Moment ausgewichen, da keiner in den Sand oder Schotter neben der Piste fahren will. Mandy und ich ertragen dieses Gerumpel durch die Landschaft Gottseidank von recht weit hinten im Bus, so dass wir keine Angst vor den entgegenkommenden Fahrzeugen haben müssen. Als wir Mittags an einem Restaurant anhalten, werden wir dort sogar von einem Arzt aus Dalbandin zum Mittagessen eingeladen! Doch viel Zeit haben wir nicht, da der Bus schon zur Weiterfahrt hupt. Nun kommen wir auch mit den beiden afghanischen "Taliban" Flüchtlingen ins Gespräch. Sie sind sehr freundlich, sagen Sie würden Deutschland mögen. Viele Afghanen sind aufgrund der Kriege in ihrem Land nach Pakistan geflohen.

Quetta

Durch beeindruckende Bergszenerie und vorbei an vielen Polizeikontrollposten, erreichen wir nach langer Fahrt endlich Quetta, die Hauptstadt von Belutschistan. Diese Stadt erinnert uns mit seinen vielen Esel- und Pferdekarren ein bischen an Rumänien, auch wenn auf der Straße viel mehr los ist: Radfahrer, Eselkarren, Mopedrickschahs, Autos und bunt bemalte Lastwagen tummeln sich auf dem Asphalt. Auch in Quetta sind die Einheimischen sehr zuvorkommend. Viele wollen einfach kurz mit uns sprechen oder uns die Hand geben oder fragen ob wir etwas brauchen. Einzig Frauen sehen wir fast gar nicht, und von einem Einheimischen erfahren wir, dass die traditionellen Paschtunen Ihre Frauen nicht mal mit auf Hochzeitsfeiern nehmen. So ist eine Frau auf der Strasse, noch dazu eine blonde Europäerin, das Objekt ständigen Anstarrens. Doch bei uns überwiegt die Freude über die Gastfreundschaft, und ein Pakistani bringt uns, als wir eines Abends eine Rikschah anhalten wollen, sogar umsonst mit seinem Auto bis zu unserem Hotel. Leider haben wir noch einen unschönen Abschied, als ein Hotelangestellter nicht bescheid weiß dass wir bei seinem Kollegen schon bezahlt haben. Nun will er das Geld nochmals haben, und schreit uns an, als wir es ihm nicht geben. Doch ein Anruf bei seinem Kollegen klärt die Angelegenheit.

Zugmarathon von Quetta nach Multan

Morgens um 5 Uhr klingelt der Wecker für uns und wie erschlagen fühlend stehen wir auf und fahren zum nahen Bahnhof, auf dem es schon hoch her geht. Die Züge sind nahezu ausgebucht, da ein grosses muslimisches Zusammentreffen stattfindet, zu dem sogar Muslime aus dem Iran anreisen. Eine Weile warten wir noch mit anderen Reisenden und jeder Menge Ziegen an der Gepäckstation. Eine kecke Ziege versucht sogar, auf unser Tandem zu springen. Endlich ist unser Fahrrad verstaut, und wir hoffen dass die Ziegen nicht unsere Bremskabel anknabbern. Wir zwängen uns mit unserem Gepäck durch die engen Gänge zu unseren Plätzen. Wirklich jeder Platz ist besetzt, und viele davon auch doppelt. Wir sitzen uns für die nächsten 24 Stunden am Fenster gegenüber, und bestreiten das Abenteuer pakistanischer Zug. Neben uns hocken auf 6 vorgesehenen Plätzen mindestens 11 junge Männer, die eifrig im Koran lesen und während der Gebetszeit dreifach hintereinander im Gang ihr Gebet verrichten. Es herrscht trotz der Enge entspannte Atmosphäre, und wir werden mehrfach auf einen Tee oder Essen eingeladen.

Mit sehnsüchtigen Blicken passieren wir das Gebiet in dem sich auch der Indusfluss entlangschlängelt und dadurch Flora und Fauna komplett verändert. Statt durch Wüste fahren wir nun viel zu schnell durch sattes Grün, Mango- und Kokosplantagen, auf deren Bäume grosse weisse V&oouml;gel hocken. Die bunte Natur scheint sich auch auf die Farben der Einheimischen auszuwirken, deren Gewänder nun in allen Farben leuchten. Wir freuen uns schon, ab Multan wieder zu radeln, wollten aber noch bis hier her den Zug nehmen, da auch die Berge um Quetta und Teile der Provinz Sindh nicht unbedingt als Sicher für Radler gelten. Nach diesem Zugmarathon kommen wir gegen 5 Uhr morgens in Multan an und finden nach langem Suchen endlich ein Hotel. Wir müssen relativieren, was wir über die Luftqualität von Teheran sagten: Teheran ist gegen Multan der reinste Luftkurort, doch trotzdem versuchen wir uns in dieser Stadt ein bischen von den Strapazen der Zugfahrt zu erholen. Hier lassen wir uns noch jeweils ein pakistanisches Gewandt schneidern, bevor es dann für uns in wenigen Tagen nach Lahore und Indien weitergeht!

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